Folgt man auf dem Westfriedhof der Ausschilderung „Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“, erreicht man den komplexesten Gedenk-Raum in Köln. Neben zivilen Kriegstoten (über 3.700 sollen hier beerdigt sein) sind hier auch Opfer der NS-Verfolgung, ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangene bestattet. Eine Inschrift rechts in der Mauer des Eingangsbereiches lautet: „Zum ehrenden Gedächtnis der hier bestatteten Opfer der Gewaltherrschaft und des Krieges 1939–1945“. Die Inschrift irritiert und ist missverständlich, da die NS-Gewaltherrschaft und der II. Weltkrieg entkoppelt werden. Der Besucher betritt danach eine Art Gedenk-Vor-Raum, der seit 1964 von der Plastik ‚Pietà‘ (verschiedentlich auch ‚Mutter mit totem Sohn‘) von Kurt Lehmann beherrscht wird. Die Neugestaltung der Gesamtanlage zog sich über mehrere Jahre hin, denn erst im Februar 1968 erfolgte die offizielle Einweihung.
Nach dem Durchschreiten des Gedenk-Vor-Raumes betritt der Besucher das eigentliche Gräberfeld, auf dem über 1.700 Menschen beerdigt liegen. Der vordere Bereich wird von der ebenfalls religiös ausgerichteten Plastik ‚Jünglinge im Feuerofen‘ (1966, im Auftrag der Bundesregierung) von Heribert Calleen dominiert. Die Plastik stellt eine Szene aus dem Alten Testament dar (Dan. 3, 1–97). Die Jünglinge wurden, weil sie sich weigerten das Standbild des Königs Nebukadnezzar anzubeten, dem Feuer übergeben, das sie jedoch unbeschadet überlebten. Es ist fraglich, ob diese Metapher übertragbar ist auf die hier beerdigten Opfer der NS-Verfolgung, die diese gerade nicht überlebten.
Auf dem Gräberfeld befinden sich mehrere Tafeln, die über die dort beerdigten Opfer nur in sehr allgemeiner Art und Weise Auskunft geben, obwohl sowohl die Namen als auch die historischen Geschehnisse bekannt sind. Auf einer ersten Tafel rechts ist zu lesen: „Hier ruhen zweihundertachtzehn Angehörige verschiedener Nationen. Opfer der Gewaltherrschaft und des Krieges 1939–1945“. Die Tafelinschrift links lautet: „Hier ruhen einhundertsechzig wehrlose deutsche Opfer der Gewaltherrschaft und des Krieges 1939–1945“. Hierbei handelt es sich um Euthanasie-Opfer. Die Inschriften sind genauso missverständlich, wie die Inschrift am Eingang des Gedenk-Raumes. Diesen Tafeln gegenüber liegt eine weitere Tafel mit der Inschrift: „Hier ruhen als Opfer der Gestapo siebenhundertachtzig Angehörige verschiedener Nationen“.
Im hinteren Bereich der Anlage befinden sich die Gräber von Kriegsgefangenen und/oder ZwangsarbeiterInnen. Eine Tafel trägt die Inschrift: „Hier ruhen fünfhundertsechzig Männer, Frauen und Kinder aus der CCCP. Opfer der Gewaltherrschaft und des Krieges 1939–1945“. Abgeschlossen wird die Anlage durch ein sowjetisches Mahnmal aus den 1970er Jahren mit einer Gedenktafel im Boden und der vermutlichen Inschrift (kyrillisch) „Ewige Erinnerung an sowjetische Bürger, Opfer des Faschismus“. Links davon befindet sich ein Obelisk mit einer ebenfalls kyrillischen Inschrift.
Rechts neben dem Kriegsgräberfeld mit der Zadkine-Skulptur befindet sich ein weiteres, kleineres Zwangsarbeitergräberfeld. Zwei Mahnmale erinnern an die Toten: eines mit einem Kreuz (vermutlich für polnische Opfer) und eines aus rotem Granit (vermutlich für sowjetische Opfer). Beide Inschriften sind unübersetzt.
Insgesamt wirkt dieser komplexe Gedenk-Raum auf den Besucher unstrukturiert und zusammenhangslos. Hinzu kommen irritierende Inschriften, unzureichende Informationen an den jeweiligen Gräberfeldern und Mahnmale, die keinen oder nur einen sehr konstruierten Bezug zu den Gräberfeldern aufweisen. Dieser größte und komplexteste Gedenk-Raum Kölns bedürfte demnach der dringendsten Überarbeitung.
Hans Hesse
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